Historische Quelle von 1935, adressiert an das Wohlfahrtsamt mit dem Betreff "Zuweisung von weil. Insassen für die Arbeitsanstalt"

"Zuweisung von
weibl. Insassen für
die Arbeitsanstalt"

26 FEB 2021

Nach der Machtübertragung an die NSDAP Anfang 1933 wirkte sich die Radikalisierung der Wohlfahrts- und Gesundheitspolitik rasch auch auf die Städtische Arbeitsanstalt in Leipzig aus. Diese wurde seit 1934 von dem überzeugten Nationalsozialisten Georg Mühlig geleitet. Ab 1935 verschärften sich die Maßnahmen gegen verschiedene Gruppen, die in der Riebeckstraße interniert waren, drastisch. Dies geschah insbesondere durch ein Zusammenspiel von Stadtrat und Wohlfahrtsdezernenten Fritz Teutsch und dem Direktor des Wohlfahrtsamts Walter Bornemann. Durch die von ihnen forcierten Maßnahmen, wurde radikaler gegen obdachlose Menschen vorgegangen.

Historische Quelle von 1935, adressiert an das Wohlfahrtsamt mit dem Betreff "Zuweisung von weil. Insassen für die Arbeitsanstalt"

In diesem Kontext ist das hier abgebildete Schreiben zu sehen, das am 5. April 1935 vom Oberinspektor der Städtischen Arbeitsanstalt, Georg Mühlig, an Teutsch und Bornemann geschickt wurde. Mühlig erfragt bei den übergeordneten Stellen die Möglichkeit einer Zuweisung weiblicher Insassinnen für die Arbeitsanstalt. Er schlägt vor, dass „erfolglose Erziehungsfälle (Verwahrungsfälle)“, die auf Kosten der Stadt in auswärtigen Anstalten untergebracht sind, in die Riebeckstraße verlegt werden. Als „Verwahrungsfälle“ oder „Verwahrte“ galten vor allem Personen, die durch Beschluss des Vormundschaftsgerichts über das Fürsorgeamt auf unbestimmte Zeit interniert wurden. Grund für die Unterbringung war in solchen Fällen die „Bewahrung vor körperlicher oder sittlicher Verwahrlosung“, wie es in einer Liste des Fürsorgeamts von Anfang 1933 heißt. [1] Passend dazu bedient sich Mühlig der menschenverachtenden Sprache des Nationalsozialismus, wenn er von „asozialen Elemente[n]“ spricht, die in der Riebeckstraße „verwahrt“ werden sollen.

Mühlig nennt in seinem Schreiben verschiedene Gründe für seine Anfrage. Zu Beginn wird deutlich, dass die Arbeitsanstalt nicht genutzte Kapazitäten für die Unterbringung weiblicher Insassinnen hat. So sichert er eine günstigere Unterbringung als bisher zu, was für die Stadt eine Reduzierung der Kosten bedeuten würde. Weiterhin stellt er eine effizientere Ausnutzung der Arbeitskraft durch die „verschärften Maßnahmen“ in Aussicht. Er betont außerdem, dass die Arbeitsanstalt dringend weibliche Arbeitskräfte benötige, um von den zu bezahlenden „Werkplatzarbeiterinnen“ absehen zu können.

Die Anfrage der Städtischen Arbeitsanstalt zielte also in keiner Weise auf die Verbesserung der Situation der betroffenen Frauen und Mädchen. Es ging vielmehr um die Wirtschaftlichkeit der Anstalt. Zum einen sollte die Auslastung der für Frauen und Mädchen vorgesehenen Plätze gewährleistet werden, da die Anstalt pro Person eine Unterbringungspauschale von den übergeordneten Behörden erhielt. Außerdem ging es darum die Arbeitskraft von Mädchen und Frauen unter dem totalen Zugriff der Arbeitsanstalt auszubeuten. Frauen und Mädchen aus anderen Anstalten sollten in der Riebeckstraße interniert werden um kostenintensive, externe Arbeiterinnen des anstaltseigenen Werkplatzes zu ersetzen.

An dieser Anfrage und ihren Folgen werden nationalsozialistische Vorstellungen von Wohlfahrt deutlich, wonach für Leistungen immer auch Gegenleistungen zu verlangen seien. Es zeigt sich außerdem der frühe Einsatz von unbezahlter (Zwangs-)Arbeit während des Nationalsozialismus, der nicht zufällig an einem Ort stattfindet, der bei seiner Gründung im Jahr 1892 „Zwangsarbeitsanstalt zu St. Georg“ hieß.

Auf dieses Schreiben folgte eine Auflistung von mehr als 50 Frauen und Mädchen verschiedener Einrichtungen in Leipzig und Umgebung, für die eine Verlegung in die Städtische Arbeitsanstalt geprüft wurde. Die Liste wurde von der Kasse des Fürsorge- und Jugendamtes am 27. April 1935 erstellt. In den folgenden Monaten kam es zu zahlreichen Verlegungen, nachdem die entsprechenden Einrichtungen die Arbeitstauglichkeit geprüft hatten. Jedoch wurden in vielen Fällen die Verlegungen letztendlich nicht durchgeführt, weil die Frauen beispielsweise „körperlich schwächlich“ und deshalb ungeeignet als Arbeitskräfte waren, wie aus einem Schreiben der Wohlfahrtspflegestelle Leipzig-Schönefeld vom 18. Mai 1935 hervorgeht.

Markus Streb

Fußnoten

1. Stadtarchiv Leipzig, AFSA 1786, Bl. 12.